Ernst Fettner feierte in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag. Im September ist seine Lebensgeschichte in Buchform erschienen. Während der Novemberpogrome 1938 wurde Ernst Fettner von den Nazis zur Auswanderung nach Großbritannien gezwungen. Dort trat er in die britische Armee ein und half als Soldat bei der Befreiung Europas mit. 1946 kehrte er nach Österreich zurück und arbeitete als Journalist. Die meisten seiner Familenmitglieder überlebten den Naziterror nicht. Ernst Fettner erhielt mehrere Auszeichnungen. Zuletzt wurde er anlässlich seines 100. Geburtstags vom Wiener Bürgermeister Dr. Michael Ludwig empfangen. Im Juni 2021 haben wir mit Ernst Fettner ein Interview aufgenommen.
Geh‘ du voran – Ein Jahrhundert:
Autor: Ernst Fettner
Herausgeber: Jana Waldhör
Format: Hardcover
Seitenzahl: 250 Seiten
Verlag: CLIO Verein f. Geschichts- & Bildungsarbeit
Auflage: 1 (September 2021)
ISBN: 978-3902542939
Klappentext:
Der heute in Wien lebende Ernst Fettner wurde am 29. Mai 1921 in Wien geboren. Das Buch dokumentiert ein Jahrhundert und spannt den Bogen vom jüdischen Waisenhaus in Baden, in das er nach dem Tod seiner Mutter infolge einer Grippe-Epidemie kam, über die Schule und Lehre, die zionistische Jugendbewegung, die Flucht 1939 nach Großbritannien, die österreichischen Exil-Jugendorganisation Young Austria, die Internierung sowie später die Teilnahme in den Streitkräften der britischen Armee bis hin zur Rückkehr nach Österreich, wo er zunächst bis 1953 als Journalist beim Kärntner Volkswillen tätig war. Im Zuge der stalinistischen Parteisäuberung entlassen arbeitete er drei Jahre in seinem, in Schottland erlernten Beruf als Schweißer bei Steyr-Daimler, ehe er in Wien bei der Volksstimme wieder als Journalist tätig wurde. Daneben schrieb er auch noch für „Die Woche“ oder „Den Abend“. Die von ihm ab den 1990er Jahren verfassten Erinnerungen werden nun von Jana Waldhör mit rund 400 Fotos herausgegeben.
Ernst Fettner im Interview mit Günther Stockinger im Juni 2021:
„Young Austria“ – Widerstand aus dem Britischen Exil (1938 bis 1945):
In einem Interview mit Sonja Frank erzählen die beiden Zeitzeugen Ernst Fettner und Friedrich Hirl über Kindertransporte ins Britische Exil. Dort fanden viele junge Menschen in der Jugendorganisation „Young Austria“ einen Heimatersatz und setzten sich für den Widerstand gegen Nazi-Deutschland und die Wiederherstellung eines demokratischen Österreich ein.
Moderator war Günther Stockinger.
Die bewegte Lebensgeschichte von Ernst Fettner:
Ernst Fettner wurde am 29. Mai 1921 in Wien als zweites Kind von Sigmund und Rosa Fettner geboren. Beide Eltern waren mit ihren jüdischen Familien aus Galizien nach Wien zugewandert. 1926 verstarb Fettners Mutter während der Grippeepidemie. Sein Vater heiratete kurze Zeit später Rosa Katz, mit der er drei weitere Kinder hatte. Ernst Fettner wuchs überwiegend in einem jüdischen Waisenhaus in Baden bei Wien auf. Nach acht Jahren in dieser Einrichtung beendete er im Herbst 1935 seine Schulausbildung.
Nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland musste Fettner gemeinsam mit seinem Vater an einer erniedrigenden Gehsteig-Reibeaktion teilnehmen. Im Sommer 1938 wurde er erstmals verhaftet. Die zweite Verhaftung erfolgte während der Novemberpogrome 1938 („Reichskristallnacht“), nachdem sich die Belegschaft in der Schneiderei Rein im 9. Wiener Gemeindebezirk eingeschlossen hatte. Das Lokal wurde gestürmt. Ernst Fettner gab sich im Verhör als Kommunist aus und wurde daher als „politischer Widerstand“ behandelt. Das dürfte ihm das Leben gerettet haben. Zu Weihnachten wurde er aus der Haft entlassen und aufgefordert, das Land innerhalb eines Monats zu verlassen. In der Folge flüchtete er nach England.
Seine ältere Schwester Waly (Valerie) emigrierte als erstes Familienmitglied mit Hilfe einer zionistischen Bewegung nach Palästina. Lily, eine Halbschwester, entkam den Nazis mit einem Kindertransport und lebt heute in Kanada. Sein Vater sowie zwei seiner Halbgeschwister wurden im KZ Maly Trostinec ermordet.
Ohne Sprachkenntnisse oder Ausbildung wurde Ernst Fettner er nach Nordschottland verschickt. Er arbeitet auf einer Farm, später auch als Schweißer. Dabei eignete er sich Sprachkenntnisse an und knüpfte Verbindungen zum Free Austrian Movement und Young Austria in Glasgow. Er wurde politisiert, verwarf die Idee, nach Israel zu gehen und widmete sich stattdessen dem Ziel, an der Befreiung Österreichs von der Nazidiktatur mitzuwirken.
Ernst Fettner schloss sich der Britischen Armee an, kämpfte bei der Invasion der Alliierten in der Normandie und kam mit den britischen Truppen wieder zurück nach Österreich. Für seinen Einsatz erhielt er drei Medaillen der British Army.
Nach Ende des Krieges arbeitet Ernst Fettner als Journalist. Er engagierte sich in der Journalistengewerkschaft und berichtete 1968 aus Prag über den „Prager Frühling“ und den Einmarsch der Sowjetunion.
1980 erhielt er das Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs, 2007 das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien.
Im fortgeschrittenen Alter stellte er sich als Zeitzeuge zur Verfügung. Immer wieder berichtete er vor Schulklassen über seine Erlebnisse sowie über Nazigräuel und wie es dazu kam. Dabei war es ihm immer ein Anliegen, Analogien zwischen Entwicklungen der Zeitgeschichte und der Gegenwart herauszuarbeiten, der Jugend zu erklären, wohin Rassismus führen kann und was es heißt, flüchten zu müssen.
Ernst Fettners Bedeutung für den österreichischen Journalismus nach 1945:
Nach dem Ende des Krieges schloss sich Ernst Fettner der Freien Österreichischen Jugend (FÖJ) und der KPÖ an. Seit 1955 arbeitete er als Journalist in der Redaktion des damaligen Zentralorgans der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). 1968 fiel ihm die Auslandsberichterstattung aus der CSSR nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts zu. Dabei positionierte sich Fettner auf der Seite der Demokratiebewegung unter Alexander Dubček. Dies führte damals zu Kontroversen mit der Redaktion, da sich die Linie der KPÖ nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts wieder geändert hatte.
Auch nach seiner Pensionierung blieb Ernst Fettner der Redaktion der Volksstimme bis zur Einstellung der Tageszeitung im März 1991 treu. Er gilt als der einzige noch lebende Journalist, der die Anfänge der kommunistischen Presse nach 1945 erlebt und ihre Entwicklung mitgeformt hat.
Quellen und weiterführende Literatur:
- Ernst Fettner bei Wikipedia
- Bürgermeister Ludwig gratulierte Zeitzeugen Ernst Fettner zu seinem 100. Geburtstag (Austria Presse Agentur – APA)
- Interview mit dem Zeitzeugen Ernst Fettner (Stadt Wien auf YouTube anlässlich des 100. Geburtstags von Ernst Fettner)
- Ein gescheiterter Versuch, sich in der Reichspogromnacht zu verstecken (Technisches Museum Wien mit Österreichischer Mediathek)
- Die KPÖ gratuliert dem Jubilar und langjährigen Redakteur der Volksstimme, Ernst Fettner.
- Jana Waldhör (2020): Zeitspiegel – Eine Stimme des österreichischen Exils in Großbritannien 1939–1946. Hg. Veronika Zwerger: Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien: Dokumente & Studien, Band 1.
- Sonja Frank Hg. (2014): Young Austria – ÖsterreicherInnen im britischen Exil 1938-1947.
- „Young Austria“, Kindertransporte und der Widerstand aus dem britischen Exil (1938 bis 1945) – Zeitzeugen im Interview (Viewpoint-Media).