Über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ländlichen Bevölkerung im 16. Jahrhundert gibt es nur wenige schriftliche Quellen und es sind kaum noch Häuser aus dieser Zeit erhalten. Dass es in Krumbach (Niederösterreich) eine bedeutende historische Besonderheit gibt, war lange nicht bekannt. Bis Archäologen auf ein stark verfallenes Gebäude aufmerksam wurden, das seit 1949 leer stand. Schließlich wurde das einzige noch erhaltene Wohnspeicherhaus im östlichen Mitteleuropa von den Archäologen in Tausenden Arbeitsstunden untersucht, Stein für Stein abgetragen, nummeriert und in das Museumsdorf Krumbach transportiert…
In keinem anderen erhaltenen bäuerlichen Wohnspeicherhaus kann der Wandel von der Rauchstube als Multifunktionsraum zum Kochen, Wohnen und Schlafen zur funktionalen Trennung mit rauchfreier Kachelofenstube, Rauchküche und Schlafkammer so gut nachvollzogen werden. Die Ausstattung des Hofes verrät die herrschaftliche Herkunft. Über 500 Jahre stand der Hof Tannbauer am Fuße des Krumbacher Burgbergs. Die Dimensionen der Wohn- und Wirtschaftsbereiche, Bauweise und Ausstattung verraten den herrschaftlichen Status des landwirtschaftlichen Betriebes, der zum Herrschaftsbereich des Adelsgeschlechts der Puchheimer gehörte, die in der Burg über dem Anwesen residierten.
Die Erforschung der Besitzgeschichte ergab, dass der Hof Tannbauer im 17. Jahrhundert einem Marktrichter als Wohnhaus diente. Wahrscheinlich wurden die Nebengebäude des Hofes als Sammelstelle für die Abgaben der Untertanen an die Herrschaft genutzt. Es besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen dem Schloss Krumbach und dem Hof.
Da das Gebäude ab der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr bewohnt war, sind die historischen Räumlichkeiten sehr gut erhalten geblieben. Die geräumige Stube in Holzblockbauweise mit ihren kleinen Fenstern, dem Kachelofen und den Rauchabzügen zeugen vom gehobenen Stand der Bewohner. Gleich daneben, durch eine Mauer von der Stube getrennt, befindet sich die Rauchstube mit der Feuerstelle und dem Herd.
Der Anbau aus Steinmauern umfasst einen Speicher mit darunter befindlichem Keller. Dort haben sich in den Bodenritzen Reste von Erntegut erhalten. Die mit Butzenscheiben verglasten Fenster im Speicher waren in der damaligen Zeit ein absoluter Luxus. Zahlreiche Bodenfunde, eingemauerte Objekte (u. a. Krüge mit Nachgeburten [1] und Opfergaben), in den Putz eingeritzte Andreaskreuze sowie die Malerei über der Eingangstür (Wolfszähne) zeugen von den Ängsten und dem magischen Weltbild der Menschen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit.
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(1) Durch die Bestattung der Nachgeburt soll das Neugeborene vor bösen Kräften oder Geistern geschützt und der Missbrauch der Nachgeburt – vor allem für magische Zwecke – verhindert werden. Nachgeburtsbestattungen fanden in den Wohnhäusern statt, in denen die Kinder geboren wurden. Dafür wurden in der Regel Töpfe aus dem Hausbestand verwendet (Nachgeburtstöpfe). Im Falle des Tannbauer-Hofes waren sie im Keller eingemauert.
Seit dem 28. 4. 2019, dem Tag der Neueröffnung des Museumsdorfes Krumbach, kann der Tannbauer in „neuer alter Pracht“ besichtigt werden.
Auf dem Museumsgelände befindet sich auch das Gebäude des Bürgerspitals (2), ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert. Es wurde unter dem Schlossherrn Erasmus von Puchheim errichtet. Ab 2019 sind hier der Empfangsbereich, eine Multimediaschau und eine neue Dauerausstellung untergebracht. Diese Ausstellung thematisiert das Leben der bäuerlichen Bevölkerung in der Buckligen Welt seit dem 16. Jahrhundert.
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(2) Ein Bürgerspital ist eine meist im Mittelalter gegründete Versorgungseinrichtung zur Pflege von alten, mittellosen und kranken Menschen. An ein Bürgerspital ist in der Regel eine Bürgerspitalkirche angebaut, die dem geregelten religiösen Betrieb der Insassen dient und meist der örtlichen Pfarrei unterstellt wurde. Wegen der Furcht vor Ansteckungskrankheiten und aus Kostengründen wurden die Einrichtungen teilweise außerhalb der Stadtmauern errichtet.
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Weitere Objekte im Museumsdorf Krumbach:
Der „Fuchs´sche Hausstock“: Der Wohnteil eines alten Bauernhofes aus Zöbersdorf, bestehend aus der original Wohnstube, einer Rauchküche und dem ehemaligen Frauenschlafraum, in dem nun Leinwandverarbeitung- und Erzeugung gezeigt werden.
Der Schüttkasten: Im regionstypischen Schüttkasten in Holzblockbauweise ist eine „Mostgalerie“ eingerichtet. Hier können im Zuge von Führungen verschiedene Moste, Edelbrände und Liköre verkostet und gekauft werden.
Die Mühle: In der oberschlächtigen Mühle mit Mühlrad ist auch eine Leinenstampfe untergebracht, die zum Pressen von Leinöl diente.
Der Ausstellungsstadel: Im sogenannten Ausstellungsstadel ist ein alter Kaufmannsladen aufgestellt und renoviert worden, der noch bis 1985 voll in Funktion war.
Museumsdorf Krumbach:
Bürgerspital 2
A-2851 Krumbach
info@museum-krumbach.at
Mein besonderer Dank gilt Frau Luise Buchegger für die individuelle Privatführung durch das Museumsdorf Krumbach am 14. Juni 2020!
[Martin Urbanek]
Weiterführende Quellen zum Hof Tannbauer:
Cornelia Rehberger (2019): Wenn ein „Lost Place“ auf Reisen geht… In: Bote aus der Buckligen Welt.
www.bote-aus-der-buckligen-welt.at/2019/03/wenn-ein-lost-place-auf-reisen-geht
Vom Haus zum Hof. Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (IMREAL), Universität Salzburg.
www.imareal.sbg.ac.at/projekte/vom-haus-zum-hof
Der Tannbauer – Museumsdorf Krumbach: Niederösterreich Heute berichtet von der letzten Reise des „Tannbauern“ (YouTube Video):